Die Reise nach Goslar
Interaktives Live-Hörspiel mit Cordula Stratmann, Matthias Haase und Publikum
lit-cologne, 18.3.2005, Gloria-Theater, Köln

“Wer weiß ganz genau, um was es heute abend geht?” fragte der Moderator das Publikum und erhielt als Antwort nur leises Gekicher, aber keinen zur Ja-Antwort erhobenen Arm. Auch ich wusste nur, dass ein Hörspiel live aufgezeichnet werden sollte, bei dem das Publikum irgendwelche Geräusche machen musste. Hörte sich auf jeden Fall schonmal witzig an. Die Hauptrollen hatten Cordula Stratmann und Matthias Haase, und ich hoffte, dass ich nicht unerwartet ein “sattes Kaninchen” oder “Morgentau unter einer Birke” akustisch performen musste.

Der Autor des Stückes, Jan Weiler, saß in der ersten Reihe und konnte miterleben, was aus seinem Text gemacht wurde, und Leonhard Koppelmann, ein erfahrener Hörspielregisseur, sollte alles leiten und die Kontrolle behalten. Zunächst aber musste das Publikum üben. Auto anfahren, schalten und auf Tempo halten. “Ach, du Scheiße!” entfuhr es dem Mann links von mir, der mein Gatte war. Als hätte er ihn gehört, meinte der Moderator grinsend: “Das ist einigen von Ihnen schon JETZT peinlich” und verkündete motivierend: “Interaktiv ist das Stichwort!” “Brrrrm brmmmm brmmmmmmmmmmmm .... bruuuuuuummmmmmm briiiiiiiiimmmmmmm....” fuhr das Publikum los und war dabei gewaltig laut. Mein Gatte konnte wohl nicht fassen, dass er in einem Theater saß und Autogeräusche von sich gab, und er schlug sich verwundert vor den schüttelnden Kopf. Auch der Moderator war zwar mit der Lautstärke der Zuschauerreaktion sehr zufrieden, nicht aber mit dem akustischen Ergebnis: “Ein ganz, ganz alter Trabbi war das”, merkte er an, und schlug vor das Geräusch nochmal zu machen und das Tempo länger zu halten. So wirklich anders kam mir der Klang beim zweiten Versuch nicht vor, aber ein zufriedenes Kopfnicken beendete den Test.

“Jetzt brauchen wir vorbeifahrende Autos”, kündigte der Moderator an und machte es vor: “IIUMMmmmmmmm ... IIUMM mmmmmm...” Die Zuschauer reagierten sofort und fielen ein: “IIUMmm .. IIUMmm .. IIUMmm ..”, was eher an ein Rennen auf dem Nürburgring, als an eine normale Autobahn erinnerte. “Sie müssen nicht immer die Kopfbewegung dazu machen!” grinste der Moderator ins Publikum und lautes Gelächter ging los. Die Zuschauer waren nach diesen ersten Proben schon sehr locker und äußerst gut gelaunt drauf. Es war sehr witzig.

Gerade als ich das Anfahren, das Tempo halten und die vorbeifahrenden Autos ziemlich gut, wenn nicht zu sagen täuschend echt konnte, hieß es: “Es machen nicht alle Zuschauer diese Geräusche, das wäre albern”, und zwei Zuschauergruppen im Bereich vor der Bühne wurden damit beauftragt. Hinter mir hörte ich eine Stimme erleichtert sagen: “Was bin ich froh, dass ich nicht vorne sitze!”, aber das war zu früh gefreut. Es ging noch an Einzelrollen, die von Zuschauern besetzt werden sollten. Der Moderator lief durch den Saal und suchte Mitspieler. “Haben wir heute Paare unter uns?” fragte er. Es war völlig klar, dass alle, die als Paare da waren, auf der Bühne landen konnten, darum meldete sich niemand, was natürlich große Erheiterung auslöste. Seltsamerweise gab es auf Nachfrage auch überhaupt keine Singles im Saal, was mich dann allerdings nicht sehr verwunderte. Ohje, der Moderator kam näher, was konnte man machen, um total unauffällig oder sogar unsichtbar auszusehen? Blick runter auf den Teppich war falsch, hinsehen und lächeln auch. Er sprach einfach irgendwo jemanden an und schickte ihn auf die Bühne. Aufatmend freuten wir uns, dass eine Frau aus der Reihe hinter uns dran war und wir knapp davongekommen waren.

Vier Frauen und vier Männer fanden sich erstaunlich protestlos auf der Bühne ein und warteten auf ihre Anweisungen, während die restlichen Zuschauer entspannt in die Sitze sanken und wieder locker wurden. “Sie machen ein männliches Handyklingeln!” bestimmte der Moderator, und der betroffene Mann guckte entsetzt und fragte etwas hilflos: “Muss ich das singen oder kann ich auch flöten?” Er pfiff eine kleine Melodie vor. Applaus, Erleichterung beim Handyklingler, und der Moderator warf schnell ein: “Tastentöne brauchen wir auch noch.”

“Wir haben noch Autogeräusche”, wandte er sich an einen anderen Mann, “Tür auf und Tür zu vom Auto.” Der Zuschauer, jetzt Mitspieler, guckte ihn mit großen Augen an, überlegte dann kurz und machte mit dumpfer Stimme ins Mikrofon: “Pok - Pok.” Großes Gelächter im Saal und der Moderator grinste: “Was haben Sie für’n Auto?” Er schlug vor einen Quietscher vor das Zuschlagen der Autotür zu setzen, und der Mitspieler geräuschte brav und emotionslos: “Iiiiiiiiiiiiiii- Pok!” “Lach nicht so laut!” ermahnte mich mein Gatte, was zeigte, dass ich viel Spaß hatte. Der Moderator verlangte: “Jetzt noch einen elektrischen Fensterheber”, und der Mitspieler surrte kurz: “Ssss - Ssss.” “War das hoch oder runter?” lachte der Moderator, und bekam die lässige Antwort: “Ist beides gleich.”

Mir gefiel wie motivierend und lobend die Geräusche und Proben der Mitspieler kommentiert wurden, auch wenn sie mal nicht so überzeugend ausfielen. Auf jeden Fall musste man auf der Bühne keine Angst haben, sondern hatte die Sympathien des Publikums und konnte mit Spaß an die Sache gehen. Als alle Rollen verteilt waren, neben den Einzelgeräuschen gab es auch Sprechrollen, kamen die Hauptdarsteller auf die Bühne. Matthias Haas, ein erfahrener Hörspielsprecher, und Cordula Stratmann, die in ihrer Rolle als Annemie Hülchrath und aktuell aus der TV-Sendung ‘Schillerstrasse’ bekannt war.

Der Moderator setzte sich nach links, die beiden Hauptdarsteller in die Mitte der Bühne und die Einzelgeräusche nach rechts. Der Regisseur blieb sprungbereit in der Nähe der spontanen Mitspieler, hatte Manuskripte und Headmicros ausgeteilt und war bereit für die Einsätze. Es konnte losgehen.

Mit lautem Brummen fuhr das Auto an, in dem Herr und Frau Monk saßen, die zu einer Familienfeier fuhren. Der Moderator hielt ein Schild: “Gib Gas” und regelte mit seinen Armen die Lautstärke auf das richtige Maß herunter. Drei bis vier Minuten lang sollte das dauern, das hatte er vorher angekündigt, und die brummende Zuschauergruppe hielt das konstant und ohne Ton-Lücken vorbildlich durch. Aber ein bißchen abgedreht war’s schon, und ich grinste breit und vergnügt vor mich hin.

Konzentriert blickten alle Mitspieler in ihre Manuskripte und die Zuschauer auf die Bühne. Es war zwar ein Hörspiel, aber Cordula Stratmann und Matthias Haase spielten die Rollen, als wäre es ein Theaterstück. Was natürlich klar war, denn die Körperhaltung und Mimik hörte man auch in der Sprache, und je mehr man in der Rolle drin war, desto glaubhafter kam sie später beim Anhören rüber. Wobei ich allerdings sagen muss, dass Matthias Haase für mich ganz neutral Herr Monk war, aber Cordula Stratmann immer etwas Cordula Stratmann blieb. Da erkannte ich einfach immer Cordula aus dem Solo-Programm und entfernt auch Annemie Hülchrath.


Nach einigen Minuten winkte der Moderator auf Geheiß des Regisseurs das Fahrgeräusch ab und der Abbruch war so plötzlich, dass ich schon glaubte, der Wagen wäre stehengeblieben. Da wäre eine Art Fadeout, ein ganz langsames Herunterfahren des Geräusches auf jeden Fall unauffälliger gewesen. Herr und Frau Monk bekamen in ihrer Unterhaltung einen gereizteren Unterton, der zeigte, dass nach 15 gemeinsamen Jahren nicht mehr alles ideal lief. Leicht erstaunt bemerkte ich, dass mein Gatte sich über die spitzen Bemerkungen sehr amüsierte und hochkonzentriert dem immer heftiger werdenden Gespräch des Ehepaares folgte. Was sollte ich daraus schließen? Würde er ebenso lachen, wenn ich solche Bemerkungen gegen ihn loslassen würde, so wie sie Frau Monk an ihren Ehemann gab? War er von der Geschichte und den Darstellern begeistert, oder entdeckte er Parallelen zu seiner eigenen Ehe? Ich beschloß, dass ich das auf dem Weg zur nächsten Familienfeier mal ansprechen sollte. Schließlich hatten wir mehr als 15 gemeinsame Jahre hinter uns und mussten uns unter der Oberfläche entsprechend auf den Keks gehen. Könnte eine spannende Fahrt werden. Auch ohne Handy- und Autotürgeräusche von der Rücksitzbank.



Das Ehepaar Monk hatte plötzlich eine Autopanne (Sonderapplaus für das wabbernde Reifengeräusch vom Pok-Türen-Mann), die Situation spitzte sich zu und die lange unterdrückten Frustrationsgefühle brachen durch. Ziemlich heftig sogar. Ein ADAC-Pannenhelfer wechselte den Reifen, und eine Polizistin kontrollierte die Papiere und forderte dabei auf: “Folgen Sie mit den Augen mal meinem Finger!”, setzte aber sofort ein “Danke!” hinterher, bevor die Augen den Finger überhaupt angesehen hatten. Nach einigem Ein- und Aussteigen war plötzlich etwas zu spät, aber bekannt dumpf das “Pok!” der Autotüre zu hören, und etwas später noch ein “Iiiiiiiiiiii- Pok!” mit dem Quietschen davor. Das war in diesem Moment so cool und lustig, dass es sponaten Applaus für den Geräuschemacher mitten in das Hörspiel hinein gab.

Einige Geräusche waren im Saal nicht gut zu hören, aber ich vermute, dass die trotzdem aufgezeichnet wurden und in der Hörspielfassung vorkommen werden. Einmal klingelte auch das Männerhandy mit der gepfiffenen Melodie und es hätte eigentlich das Geräusch des Frauenhandys sein müssen, aber das war alles nicht schlimm. Es blieb unterhaltsam und irgendwie abgedreht witzig, auch wenn das Hörspiel ansich relativ ernst war. Nur dass ich jetzt so völlig geräuschlos herumsaß und stumme Zuschauerin war, fand ich dann doch schade. Vielleicht hätte man rauschenden Wind oder einen kurzen Regenguß einbauen sollen, damit ALLE Zuschauer mitwirken konnten und sich am Hörspiel beteiligt fühlten. Dann wäre allerdings die Liste der Mitwirkenden ziemlich lang geworden.

Am Ende entwickelte sich die Story zu einem mit Vorsicht zu genießenden Happyend, das ein paar Fragen offenließ, aber hoffen ließ (was für eine Wortkombination!), und das Publikum klatschte freudig und zufrieden.











von links: Moderator, Regisseur
Hauptdarstellerin, Hauptdarsteller,
Autor.


Auch die Zuschauer-Mitspieler strahlten, denn es war gar nicht so schlimm gewesen und hatte teilweise richtig Spaß gemacht, wie man ihren Gesichtern ansehen konnte. Das Ergebnis wird am nächsten Sonntag (20. März 2005) komplett, exklusiv und gratis hier veröffentlicht:
www.hoerverlag.de

Ich bin gepannt! Und im Endeffekt habe ich auf der Aufnahme wie ein perfektes “sattes Kaninchen” gewirkt. Muss man mal genau hinhören, dann erkennt man das. Unhörbar vor sich hinmümmelnd und mit leichtem Grinsen im Gesicht. Die Mimik ist ja auch wichtig.


von links: Moderator, Regisseur, Männer-Handy, Autotür (Pok!), ADAC-Mann, Frau Monk, Herr Monk, Polizistin, Frauen-Handy, Radiosprecherin, Diskussionsteilnehmer, Diskussionsteilnehmerin.
 

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