Annette Frier als Nora
5.6.2005, Bauturm-Theater, Köln

Dass Annette Frier eine sehr gute Schauspielerin ist, war mir schon vorher klar. Aber wie intensiv und eindrucksvoll sie spielte, haute mich dann doch etwas um.

Im Bauturm-Theater wurde schon seit längerer Zeit immer mal wieder “Nora” von Henrik Ibsen gespielt. In der Hauptrolle Annette Frier, die eindeutig das Zugpferd der Veranstaltung war. Auch ich musste zugeben, dass ich wegen ihr dort war, denn ich wollte sie unbedingt mal in einer ernsthaften Rolle erleben. Bei spontanen Improvisationen in der TV-Schillerstrasse war sie schnell und überzeugend, aber auch dort merkte ich, dass sie nicht auf seichte Witzchen stand, sondern bei allem Humor sehr ernsthaft und warmherzig arbeitete. Sie kam einfach sympathisch und echt rüber und ich freute mich auf den Theaterabend mit ihr. Zufällig war es die 50. Vorstellung, aber ich machte mir keine Gedanken, dass sie zur Feier des Tages vielleicht etwas am Text geändert oder den Schluß umgebaut hätten. Außerdem war die Vorstellung ausverkauft, aber das war sie vermutlich immer, denn ich hatte mehrere Versuche gebraucht, um an Karten zu kommen.

Das Bauturm-Theater war sehr klein, so dass die Zuschauer das “Wohnzimmer-Gefühl” der Dekoration sofort übernahmen, in der alle drei Akte spielten. Das Ibsen-Stück “Nora” von 1879 war nur leicht textlich modernisiert worden und passte mit seiner Thematik problemlos in die Jetztzeit. Die süße, liebenswerte, anpassungsbereite Nora, Ehefrau von Torvard Helmers und die Mutter seiner drei kleinen Kinder, lebte in einer heilen Welt, die so lange funktionierte, wie alles mitspielte. Vor Jahren hatte sie heimlich eine Unterschrift gefälscht, um Geld für einen lebenswichtigen Genesungsurlaub ihres Mannes zu bekommen. Der damalige Kreditbearbeiter Krogstad drohte nun mit der Aufdeckung der Straftat. Insgeheim träumte Nora davon, dass ihr Mann, wenn er es erfahren würde, zu ihr stehen und sie schützen würde, aber sie wusste, dass ihm sein Ansehen und die öffentliche Meinung wichtiger waren.

Annette Frier beherrschte die Bühne von Beginn an. Sie trat auf und SPIELTE die Nora nicht, sondern WAR sie. Wenn sie sprach, wirkte es ganz natürlich und glaubwürdig. Eine zunächst junge, lebenslustige, fast etwas oberflächliche und die Realität ausblendende oder zurechtrückende Frau, die sich ihre heile Welt aufgebaut hatte und sich darin glücklich glaubte. Als ihr Glück durch den verzweifelten Krogstad bedroht wird, wandelt sie sich in eine zunächst hektische, dann ängstliche und schließlich tief verzweifelte Frau. Beklemmend echt und sehr emotional dargestellt von Annette Frier. Das ging schon unter die Haut und war für die Zuschauer sehr beeindruckend zu spüren. Auch die plötzlichen Stimmungswechsel waren gut nachzuempfinden - mal sprühte Nora vor guter Laune, dann war sie ängstlich und bedrückt.

Sehr gut war auch Gabriele Quast als ruhige, warmherzige Jugendfreundin, die bei jedem Auftritt eine beruhigende Stimmung bis in den Zuschauerraum hinein ausstrahlte. Auch die darstellenden Herren waren gut und hatten ihre Rollen und Charaktere rund und stimmig erarbeitet, so dass es Freude machte dem Stück zu folgen, aber trotzdem hatten die beiden Frauen ihnen die Natürlichkeit voraus. Es klang nicht gelernt was sie sagten, sondern wie in diesem Augenblick spontan empfunden.

Eine sehr gute Inszenierung (Axel Siefer) rundete die schauspielerische Leistung ab. Alles war logisch und ineinandergreifend aufgebaut. Bei gleichem Bühnenbild trotzdem szenisch abwechslungsreich und durchgehend spannend. Für mich sehr faszinierend: Ein Streitgespräch zwischen Nora und Kronstadt fand bei laut eingestellter CD-Anlage statt. Es war kein Wort zu verstehen, aber die Gesten und die Mimik zeigten den Wechsel von Wut, Empörung, Angst und Drohung, so dass den Zuschauern auch ohne Worte völlig klar war, was dort gerade gesprochen wurde.  Großartig!

Großartig aber auch Annette Frier. Am Ende des Stückes, als alle Verstellung vorbei war, saß Nora vor den Scherben ihrer alten Welt und wusste nur, dass sie dort nicht bleiben konnte. Die Ratlosigkeit, ihre Angst vor der ungewissen Zukunft, in die sie alleine gehen würde, aber auch ihre Stärke und ihr fester Wille waren in diesem Moment fast greifbar zu spüren. Das war unglaublich intensiv. Ich hatte - nicht zum ersten Mal an diesem Abend - feuchte Augen, weil es emotional sehr berührend war. Die Wandlung vom angepassten, netten Frauchen zur erwachsenen und eigenverantwortlichen Frau war für Nora plötzlich und mit dem Bruch ihrer heilen Welt geschehen. Annette Frier nahm man ab, dass ihre Nora weinend über die Erkenntnisse, die sie bekommen hatte, ängstlich vor dem, was auf sie zukommen würde, aber fest entschlossen ihren eigenen Weg gehen würde.

Die letzten Minuten saß Annette Frier als desillusionierte Nora sehr ruhig, wie erschlagen von der Gewalt der der plötzlichen Erkenntnisse, auf ihrem Stuhl und Tränen liefen langsam über ihr Gesicht. Sie hatte sich unbeirrbar dafür entschieden, sich selbst in einem eigenen Leben zu finden und dazu Mann und Kinder zu verlassen. Das “Wunderbarste”, dass ihr Mann zu ihr stehen und sie als eigene Persönlichkeit ansehen würde, war nicht eingetroffen. Der tiefe Schmerz über das Aufwachen aus ihrer Scheinwelt war ihr anzusehen, und im Zuschauerraum war es betroffen still.

Großer Applaus, als das Bühnenlicht endgültig erlosch, und Luftholen beim Publikum. Boah, ging das tief! Beeindruckend. Die begeisterten Zuschauer klatschten die Darsteller mehrfach zu Verbeugungen auf die Bühne zurück, und es dauerte einige Auf- und Abtritte, ehe aus der niedergedrückten Nora mit verweinten Augen eine lächelnde Annette Frier wurde. Bei der Intensität, mit der sie spielte und sich in die Rolle versetzte, kein Wunder.

Großartig! Das ganze Stück war toll, aber da ich wegen Annette Frier dort war, noch speziell etwas zu ihr: Die möchte ich öfter sehen. Im Comedybereich ebenso wie auf der klassischen Theaterbühne. Ich bin überzeugt, dass sie beides sehr gut nebeneinander machen kann und aus jedem Bereich etwas für den anderen Bereich mitnimmt. Und ich glaube, dass sie noch eine große Theaterkarriere vor sich hat. Sie könnte auch hin und wieder in Boulevardstücken auftauchen und auch da würde sie überzeugen. Annette Frier kann zwischen den Genres wechseln, weil sie alles mit großem Talent und Überzeugung tut und damit in jeder Rolle glaubhaft ist.

Große Klasse! Ein beeindruckender Abend, den ich nicht vergessen werde.
Wer die Möglichkeit hat zu Nora mit Annette Frier zu gehen, sollte es unbedingt tun!



(Nur ein Schlußfoto, weil ich leise Stücke nicht mit dem Klicken des Fotoapparates störe.)

von links: Oliver Matthiae (Doktor Rank), Frank Voß (Torvald Helmer),
Annette Frier (Nora Helmer), Gabriele Quast (Christine Linde),
Gerhardt Haag (Nils Krogstad)

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