MOMO
die seltsame Geschichte von den Zeitdieben und dem Kind, das den Menschen die gestohlene Zeit zurückbrachte

Erftkultur, 2.12.2006, Erftstadt-Liblar
Regie: Ingo Brückner

Die Qualität eines Theaterstückes für Kinder kann man am einfachsten an der Reaktion der Kinder während der Vorstellung erkennen. Machen sie halblauten Unsinn oder rennen sie lachend durch die Stuhlreihen, ist es entweder ein temperamentvolles Mitmach-Kasperlespiel oder eine für sie zu langweilige Darbietung. Sitzen sie dagegen eine Stunde lang mucksmäuschenstill und gebannt auf den Plätzen, um den ersten Teil bis zur Pause zu sehen und dann nochmal gute 40 Minuten ebenso ruhig und konzentriert im zweiten Teil, kann man von einer sehr gelungenen Inszenierung sprechen. So war es bei ‘Momo’. Ingo Brückner führte Regie und schaffte es, sowohl vielen Grundschulkindern, als auch den anwesenden Erwachsenen eine kurzweilige, ruhige und auch lustige Inszenierung zu servieren, die gefühlt viel schneller vorbei war, als mit der Uhr gemessen, und bei der das Bonbonpapiergeknister einiger Erwachsenen lauter als die Geräusche der Kinder waren.

Schon die märchenhafte Musik zu Beginn und der eindrucksvolle Meister Hora (Jochen Meyn), der in rot-goldenem Gewand auf die Bühne kam und von den Kindern so ehrfurchtsvoll wie der Nikolaus angestarrt wurde, brachten die Zuschauer in die richtige Stimmung. Meister Hora führte wie ein Märchenerzähler durch die Geschichte und saß dabei neben der Bühne an einem Tisch, der mit einem geheimnisvoll leuchtenen Globus geschmückt war. Mit ausdrucksvoller Stimme und wohldosierten Pausen hielt er die Aufmerksamkeit der Zuschauer. Von hinten war es nett anzusehen, wie beim ersten Ton von ihm jedesmal alle Stupsnasen der ersten Kinderreihen synchron zur Seite gedreht wurden und dort blieben, bis es auf der Bühne mit der nächsten Szene weiterging.

Kurz zur Handlung der Geschichte: Die elternlose Momo taucht plötzlich in einem ort auf und lebt allein in einem alten Amphitheater. Sie kann durch ihr Zuhören und ihre ruhige Anwesenheit Streite schlichten und versteht sich mit den Bewohnern des Ortes, vor allem aber mit den Kindern sehr gut. Eines Tages kommen bedrohliche, graue Herren und überzeugen die Bewohner vom ‘Zeit sparen’. Das Leben wird hektisch, alle werden auf der Jagd nach eingesparter Zeit unglücklich und unzufrieden. Nur Momo lässt sich von den grauen Herren nicht unter Druck setzen und schafft es mit Hilfe von Meister Hora und der Schildkröte Kassiopeia ein gutes Ende der Geschichte zu erreichen. 

Jojo Düren stellte die Momo überzeugend sanft, zart und ruhig dar. Sie wirkte wie ein Wesen aus einer anderen Welt, das still und meistens zuhörend zwischen anderen Menschen lebte, und die Zuschauerkinder liebten sie sofort. Bei aller Sanftheit war sie trotzdem stark und selbstbewußt und schien ‘unverbiegbar’ zu sein, also eine Person, die lächelnd ihr eigenes Leben lebte und sich nicht gewaltsam verändern ließ.















Auf der Bühne wechselten die Personen und die Stimmungen, so dass kein Moment von Langeweile auftauchen konnte. Polternd laute Szenen (Anne Glasow, Thomas Dewitz, Silvia Andreotti), die die Kinder gebannt auf die Bühne starren ließen, wechselten ab mit lustigen Szenen (sehr bemerkenswert die witzige Frisur des wunderbar schrägen Friseurs Simon Hellmich) und mit wirklich unheimlichen Momenten, wenn die grauen Herren erschienen. Christian Parkow als grauer Herr hatte eine dumpfe, rauchige Stimme und löste mit seinem kalten, gefährlichen Erscheinen so viel Unbehagen aus, dass sich nicht nur die Kinder wohlig gruselten.















Dagegen war Ingo Brückner als weiterer grauer Herr zwar auch zunächst eiskalt und gefährlich, zeigte dann aber bei einer Begegnung mit Momo doch fast menschliche Gefühle und veränderte sich beeindruckend. Fast schade, dass er dann eliminiert wurde, in diesem Fall hinter dem Vorhang in einer Nebelwolke verschwand.





























Über die Auftritte des einfachen, liebenswerten Beppo Straßenkehrer (Heinz Forschbach) freuten sich die Zuschauer sehr, wenn er mit regelmäßigen, lauten Besen- und Atemzügen quer über die Bühne kehrte und seine Lebensregel “Schritt für Schritt” verkündete. Mara Bäcker als emotionslose Puppe Bibigirl war klasse, wie sowieso alle Kinder auf der Bühne (Anna Jaster, Tanja Bäcker, Manuel Plewnia, Marvin Steinbach, Marcel Steinbach, Nick Steinbach) ungewöhnlich gut waren und mehr als einmal mit einer plötzlichen Wendung von heftigem, lautem Reden zu ganz leisen, zaghaften Tönen Gänsehaut erzeugten. 

Liebling der Kinder war die Schildkröte Kassiopeia, wunderbar gespielt von Dorothee Markert. Sie sprach so langsam, dass es ein Glück war, dass sie nur wenige, kurze Sätze hatte, die dazu auf das Wesentliche reduziert waren. “Warum antwortest du nicht?” fragte Momo, und die kauende Schildkröte hob langsam den Kopf und sagte bedächtig: “Ich  -  früh  -  stü  -  cke”, was die Zuschauerkinder sofort zum Lachen brachte. Ebenso etwas später ihre Antwort auf die drängende Frage: “Können wir nicht ein wenig schneller gehen?” “Lei  -  der  -  nein”.















Eine sehr schönes Bild gab es, als Momo auf der Bühne mit einer Feder spielte und dabei zeigte, dass sie unbeschwert und leicht lebte und kindliche Freude an den wunderbaren, kleinen Sachen hatte. Sanfte Musik unterstützte die Atmosphäre und selbst die Erwachsenen guckten fasziniert zu, wie sie die schwebende Feder auffing und immer wieder in die Luft warf. Dass der Fremdenführer Gigi (Chris Steinbach) Mandoline spielen konnte und so eine ganz eigentümliche, ruhige Stimmung auslöste, als er eine kleine Melodie vor sich hin spielte, war ebenfalls klasse. Melanie Schlick, als seine Managerin, fegte energisch über die Bühne und spielte ihre kleine Rolle sehr fein aus.





























Am Ende wurde es spannend wie in einem Krimi, die grauen Herren versuchten Momo zu fangen und die Zuschauerkinder, die mit großen Augen zusahen, lachten laut schallend los, als die bösen grauen Herren auf der Bühne stolperten und stürzten, verstummten aber sofort erschreckt, als einer von ihnen nach Momo griff. Aber natürlich konnte sie entkommen und alles war gut. Mit der Unterstützung von Meister Hora, der sich immer, wenn er in einer Szene mitspielte, von seinem Stuhl erhob und auf die Bühne kam, als wäre er gerade mal im Nebenraum gewesen und mit Hilfe der weisen, wenn auch gemächlichen Kassiopeia gab es ein gutes Ende.















Meister Hora kam zum Schlußwort an den Bühnenrand, während hinter ihm die endlich wieder glücklichen Bewohner des Ortes in der Bewegung einfroren und dann doch wieder die Zeit still stehen ließen, und es gab dicken Applaus, der sofort mit vielstimmigen, lauten Zugabe-Rufe der vielen Zuschauerkinder verstärkt wurde. Aber wenn so eine Geschichte zu Ende ist, kann man keine Zugabe spielen, darum gab es stattdessen mehrere Aufgänge und Verbeugungen, die nebenbei zeigten, dass die vielen Darsteller bei Momo die ganze Bühne belegen konnten.

Ein sehr schön gemachtes, kurzweiliges, spannendes  Bühnenstück, das von gut gewählter Musik und passenden Geräuschen unterstützt wurde, eine ganz eigene Atmosphäre hatte und die großen und kleinen Zuschauer in seinen Bann zog. Klasse!



Eine wunderbare Aussage zur Qualität der Aufführung war die bange Frage eines Grundschulkindes, das am Ende des ersten Teiles, als das Licht im Saal anging, auf seine Mutter in den hinteren Reihen zustürzte und besorgt rief: “Ist noch nicht zu Ende, oder??” Ihr: “Nein, jetzt ist nur Pause!” löste ein strahlendes Lächeln aus. Was will man mehr?




Damit es komplett ist:
Weitere graue Herren: Günter Sommer, Laurenz Stürmer
Eine Frau: Eveline Forschbach
Ein Mann: Elmar Jaster


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www.erftkultur.info
 

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