SCHÄL SICK SHOWNr. 5
28.4.2007, Bürgerhaus Köln-Kalk


Die Stadt Köln ist durch den Rhein in zwei Hälften geteilt. Die Seite mit dem Dom, den Brauhäusern und den Theatern liegt linksrheinisch, während die andere Seite von den Kölnern als “schäl” (schielend, krumm, fehlerhaft) bezeichnet wird. Der Kölner Stadtteil Kalk liegt nicht nur auf der “schäl Sick”, der “falschen Seite”, sondern gilt auch als sozialer Brennpunkt, der nicht unbedingt mit Kunst und Kultur in Verbindung gebracht wird. Trotzdem gab es dort zum fünften Mal eine Show zu sehen, die mich in der Zusammenstellung an frühere Wintergarten-Programme erinnerte: Eine liebevoll ausgesuchte Mischung aus Kabarett, Comedy, Musik und Artistik.

Echte Kalker und Kalkerinnen bekamen nach Vorlage des Personalausweises Ermäßigung an der Abendkasse, und ich vermutete stark, dass eine Gruppe junger, etwas lauter Frauen, die vor mir saß, ihre Ausweise gezeigt hatte und die Anforderung erfüllten. Ansonsten sah das Publikum aus wie es in anderen Kleinkunsttheatern aussah und war altersmäßig von ganz jung bis zu den Senioren vertreten.

Eine kleine, schmale, fast hutzelig wirkende Frau huschte vor Beginn der Vorstellung durch die Reihen und bot freundlich gut gekühlte Schokoladenstücke an. Praktischerweise Schogetten, die in Einzelportionen aus der Packung zu grabbeln sind, und ich nahm gerne ein Stück, liess es genießerisch im Mund schmelzen und fand nett, dass es so selbstlose Künstlerinnen gab. Denn dass diese Frau später auf der Bühne stehen würde, ahnte ich nicht nur schwach, sondern ziemlich deutlich.



Die Vorstellung begann mit Musik von “Wildes Holz”, die die Hausband des Abends waren und ihrem Namen Ehre machten. Blockflöte, Kontrabass und Gitarre sahen in dieser Kombination nur auf den ersten Blick abgedreht aus, denn was da an Musik rauskam, war klasse. Vor allem quietschte die Blockflöte nicht nervig wie beim Kinderkurs, sondern klang voll und warm und der Spieler konnte unglaublich schnell und auch sehr jazzig spielen. Die Herren waren sehr temperamentvoll, spielten sogar “Born to be wild”  und es machte Spaß beim Hinsehen und Zuhören.



Die Moderatoren des Abends waren Olly Hahn und Beate Bohr, wobei ich mir Olly Hahn irgendwie besser als Sportreporter vorstellen konnte. Er wirkte so fachlich kompetent und seriös, dass ich nie sicher war, ob er gerade mit ernster Miene einen Spaß machte oder einfach eine Tatsache verkündete. Ein plötzlich in die Moderation eingeworfenes “4 zu 3 für Wolfsburg” hätte mich keineswegs erstaunt, sondern zufrieden nicken lassen. Beate Bohr war seine Assistentin, die angeblich im Casting für die Show den letzten Platz gemacht hatte, dafür aber als Einzige an diesem Abend Zeit hatte, um zu moderieren. Gemeinsam leiteten sie mit kleinen Szenen zu den Nummern über.



Eine der Nummern war der Kabarettist Martin Maier-Bode, der über den Begriff “typisch deutsch” grübelte. War man deutsch, wenn der Geburtsort stimmte, die Abstammung oder die Sprache? Was passierte mit der deutschen Sprache, wenn es immer mehr Anglizismen gab? War der Toaster nicht eigentlich ein “Brotscheibenbraunröster”? Wieso wurde man im Coffeeshop sofort verstanden, wenn man sagte: “Ich krieg ‘ne Latte”? Fasziniert hörte ich seinen schnellen Gedankengängen zu und fand es sehr gut.



Als er über alte deutsche Begriffe sprach, wurde es ungeplant witzig. “Wer kennt heute denn noch den Begriff ‘Lorke’?”, fragte er und zeigte auf eine der jungen Frauen vor mit. “Sie wissen was eine Lorke ist?” Die Antwort kam selbstsicher: “Auf meinem Kopf.” “Nee, nicht ‘ne ‘Locke!” korrigierte Herr Maier-Bode, und ich grinste mich fast weg. Eigentlich hätte die junge Frau besser noch: “Boah, ey, die hab isch aufm Kopf!” antworten müssen, aber da verlangte ich wohl zu viel von der Situationskomik.

Dafür lachten die Damen der ersten Reihe später laut und fröhlich, als Martin Maier-Bode Hölderlin rezitierte. Er wollte damit etwas überspitzt zeigen, dass diese Art der Sprache heute nicht mehr ankam, und traf bei ihnen genau ins Schwarze. Ich fand es superlustig, dass sie nicht über die Nummer lachten, sondern wirklich nur über Hölderlins Sprache. Im Prinzip waren sie eine Comedy-Nummer für sich, und ich erlebte fasziniert, wie sie laut und ohne jegliche Hemmungen ihre Kommentare abgaben. So als wäre das Theater ihr eigenes Wohnzimmer und die Künstler wären nur für sie auf der Bühne. Eigentlich ja eine schöne Einstellung, aber das führte auch dazu, dass eine von ihnen mitten in die Nummer hinein rief: “Du hast da was am Hosenstall!” Martin Maier-Bode unterbrach, zupfte einen hellen Faden von seiner Hose und kniepte ihr charmant zu: “Das hab ich für dich gemacht.” Kurze Pause, dann fügte er ebenso charmant hinzu: “Statt Hölderlin!”

Ich hatte viel Spaß und kriegte mein Grinsen kaum noch weg.


Luke Wilson, ein Zauberer und Jongleur aus England, machte einen Kartentrick, der nicht besonders spektakulär war, mir aber trotzdem sehr gefiel. Er moderierte witzig, hatte einen charmanten Akzent und gab gute Zwischenkommentare. Dass er alle vorher von einem Zuschauer beschrifteten Karten irgendwo aus seiner Kleidung wieder rausfischte, war mir klar, aber ich guckte trotzdem fasziniert zu und fand es sehr unterhaltsam und witzig.



Später in der Show jonglierte er sehr gut. Ich konnte das ganz gut beurteilen, denn nach längerer Übungszeit kann ich inzwischen mit drei Keulen so jonglieren, so dass sie nur hin und wieder runterfallen und mir auch keine Zähne ausschlagen. Vom Können des Luke Wilson bin ich damit noch sehr weit entfernt und konnte beeindruckt staunen.



Die Damen in der ersten Reihe staunten ebenfalls, als er mit fünf Keulen jonglierte, und eine von ihnen rief, als er alle Keulen wieder aufgefangen hatte, laut und sehr anerkennend: “Du bist super!” Luke Wilson, der gerade mit einem neuen Wurf beginnen wollte, stockte kurz, grinste dankend in die erste Reihe und wollte loswerfen, als sie erneut zu hören war: “Klasse!” Lachend brach er erneut ab, es blieb ruhig. Er versank kurz in einen Konzentrationsmoment, in diesem Augenblick war wieder die Stimme zu hören: “Weltklasse!” Ich brach fast zusammen vor Lachen, und ich vermute, dass Luke Wilson in diesem Moment befürchtete, nie wieder loswerfen zu können. Das Schöne war, dass sie ihn überhaupt nicht stören oder unterbrechen wollte, sondern einfach aus völliger Überzeugung ihr Lob abgab. Herrlich.


Die hutzelige Dame von vor der Vorstellung war Frieda Braun und kam nach Luke Wilson auf die Bühne. Sie machte Sauerlandkabarett, das heißt, sie erzählte aus ihrem Leben, das sie anscheinend vorwiegend im Sauerland verbrachte. Nicht nur, weil sie vorher Schokolade verteilt hatte, fand das Publikum sie klasse. Irgendwie wirkte sie vertraut, familiär und völlig ungefährlich. Ihre Überlegungen und Gedanken waren wunderbar einfach, und es machte Spaß ihren Erzählungen über “Schilddüsentabletten”, “Drogen inhalieren in Soest” und “Erlebnis-Autofahren im sauerländischen Kreisverkehr” zu folgen.



Dann erzählte sie von ihrem Mann Erwin, der, seitdem er Rentner war, billig einkaufen ging und auf Angebotsjagd war. Vorwurfsvoll berichtete sie, dass er letztens “sooo ‘ne Palette, seit eineinhalb Jahren abgelaufene Schogetten” mitgebracht hätte. Aufschreiendes Gelächter im Saal war die Reaktion. “Wer soll die denn essen?” fragte sie kläglich und endete kategorisch mit: “Ich tu’s nicht!”
Wunderbar!


Auch ohne die Mädels in der ersten Reihe, die ein wenig unfreiwillig komisch, aber durchaus unterhaltsam waren, war es wieder eine schöne Vorstellung, in der Leute, die Kleinkunst lieben und den Reiz in der Mischung aus Kabarett, Comedy, Musik und Artistik mögen, einen sehr schönen Abend hatten.
Es lohnt sich!

Infos und weitere Termine:
www.schael-sick-show.de

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