2. April 2011, Philipshalle, Düsseldorf
MARTIN RÜTTER
Hund-Deutsch, Deutsch-Hund

Der Hundetrainer Martin Rütter auf der Bühne der Düsseldorfer Philipshalle vor 5000 Zuschauern. Kein Hund im Publikum, keine große Show auf der Bühne, nur Martin Rütter, der über die Beziehung zwischen Mensch und Hund und deren Probleme sprechen würde. Konnte das funktionieren? Die Live-Show war jedenfalls seit Wochen ausverkauft.

Das lag nicht nur daran, dass Martin Rütter DER Hundetrainer war, sondern auch an der Ausstrahlung der Live-Show bei RTL im letzten Jahr, die neues Publikum gewonnen hatte. Er war damit schon fast in die Sparte Comedy gerutscht, auch wenn das in meinen Augen nur bedingt zutraf. Nur weil er locker war, seine Informationen witzig verpackte und das Publikum mehr als zwei Stunden lang mühelos unterhalten konnte, machte er keine Comedy. Comedy war hauptsächlich lustig, bei Martin Rütter konnte man lachend lernen.


Die große Philipshalle füllte sich jedenfalls und zum Glück gab es Leinwände, um Martin Rütter von den hinteren Plätzen nicht nur als kleinen Bewegungspunkt auf der Bühne sehen zu können, sondern auch seine Mimik zu erkennen. “Willkommen zur größten Selbsthilfegruppe!” begrüßte er die Zuschauer und sagte anscheinend betroffen: “Ja, ich rede in ganzen Sätzen mit dem Hund”. Gelächter zog durch den Saal. Mir fiel ein, dass ich mich mal dabei ertappt hatte, wie ich meinem Ferienhund erklärte, dass er wegen der Autos, die auf dieser Straße jederzeit kommen könnten, ganz nah bei mir laufen müsse. Als mir mittendrin auffiel, was ich da gerade machte, brach ich lachend ab und beschloss, dass es dem Hund ganz egal sein müsse, warum ich ihn rief, er hatte einfach zu kommen. Außerdem hatte ich die vage Ahnung, dass er auch bei ausführlichster Erklärung nicht begreifen würde, um was es eigentlich ging. Selbst ich, als von mir anerkannte Hundeversteherin und Rütter-Buch-Leserin, machte noch die bescheuertsten Sachen. Und darum konnte ich ebenso wie die anderen Hundeleute lachen, wenn ich mich durch seine Beispiele erkannt fühlte.

Die Vermenschlichung des Hundes war ein Problem, erklärte Martin Rütter und kommentierte eine häufige Situation, wenn abends der Mann nach Hause kam. “Guck mal, da kommt der Papa!”. Durch das Publikum ging erkennendes Gelächter, es steigerte sich als Martin betonte, dass das biologisch gar nicht möglich sei. Es passte aber zur Vermenschlichung, dass Hunde auch immer häufiger Kindernamen bekamen. “Emma, ...”, begann Martin aufzuzählen, da hörte man ein überraschtes, lautes Auflachen aus dem Zuschauerbereich. Ein Riesengelächter im Saal folgte und Martin Rütter kommentierte: “Das ist die Mama von Emma!” Wieder großes Gelächter.



Schnell schaffte es Martin Rütter, den Zuschauern das Gefühl zu geben, er würde fast privat reden. Er lief auf der Bühne herum, war locker, reagierte auf die Reaktionen der Zuschauer und bohrte immer wieder den Finger genau in den Punkt, bei dem es auch ein bisschen weh tat. Der Hund sprang aufgeregt und freudig an einem hoch, wenn man nach Hause kam? Und man hielt das für reine Freude? Irrtum! In den meisten Fällen war es ein Pöbeln und eine Maßregelung. Im Saal war es still. Nicht betroffen still, sondern eher unbetroffen still. Bei mir doch nicht! Martin Rütter sprach aus, was viele in diesem Moment dachten: “Pass mal auf, Rütter! Bei ANDEREN Hunden, da kann das maßregeln sein, aber bei MEINEM ist es Freude!” Jetzt hörte sich das Lachen zustimmend an. Ja, genau so war es doch. Bei der anschließenden Erklärung gab es dann aber doch einige Punkte, an denen Zweifel an der reinen Freude des Hundes aufkamen. Mmmmh, konnte es tatsächlich möglich sein, dass ....  oh, das würde man sich jetzt beim nächsten Heimkommen mal genauer ansehen.

Die Hunde durften sich oft viel herausnehmen. Martin Rütter fragte, ob die Kinder einen beim Heimkommen vom Einkaufen ebenfalls so anspringen durften? Nein, natürlich nicht. Aber Hunde, die ihren Kopf dann auch noch aufdringlich und ohne jede Zurückhaltung in die Einkaufstüten steckten, bekamen oft noch ein Leckerchen: “Guck mal, was ich dir mitgebracht habe!” Ein Junge in der ersten Reihe wurde gefragt, ob er dann auch immer Schokolade bekäme. Er verneinte. “Dann musst du mehr anspringen!”, riet Martin Rütter.

Erstaunlicherweise zeigten sich auf Nachfrage auch sehr viele Nicht-Hundebesitzer unter den Zuschauern. Martin Rütter fiel ein Paar in den vorderen Reihen auf. Der Mann hatte seiner Frau die Karte für die Show geschenkt. Der Hundetrainer lachte los: “Ich würde gerne wissen, wie es heute abend bei euch abläuft!” Er verstellte die Stimme: “Ich wusste nicht, dass der den ganzen Abend über Hunde redet!”  




Im Programm ging es um Hundemenschen und Nicht-Hundemenschen, Rangordnung und die Recourcenverteilung. Wer über Futter, Wasser, Schlafplätze, Spielzeug und Aufmerksamzeit verfügte und es verteilen konnte, war ganz oben. Und wer beeinflußte wen? Da waren Hunde oft wesentlich geschickter als Menschen und hatten ihre Leute gut erzogen. Ging der Hund nur nach dem Kommando “Hop!” aufs Sofa, oder legte er den Kopf aufs Menschenknie, guckte sanft und man hatte 60 Sekunden Zeit “Hop” zu sagen, sonst würde er auch alleine drauf springen? Die klare Aussage des Hundetrainers: “Der Hund darf auf die Couch und ins Bett!”, brachte großen und hörbar erleichterten Applaus. Wenn der Hunde-Papst es sagte, war es abgesegnet. Martin Rütter schob grinsend hinterher: “Aber nur, wenn er dich auch drauf lässt!” Ihm war wichtig, dass es die Entscheidung des Menschen war, ob der Hund durfte, wann und wie lange. Außerdem war er überzeugt, dass der Hund nicht die Rangordnung ändern wollte oder die Weltherrschaft anstrebte, wenn er auf das Sofa kletterte, sondern es einfach nur bequem fand.

Als Martin Rütter die Zuschauer fragte, wer nur ein einziges Halsband für seinen Hund hatte, hoben sich einige Arme. “Von 5000 Leuten haben etwa 50 ein einziges Halsband”, stellte er fest und warf trocken hinterher: “Das sind die, die ihren Hund nicht richtig lieben!” Normal waren mindestens zwei Halsbänder, von denen auch niemals das rote mit der blauen Leine kombiniert wurde. “Sonst wird die Emma beim Gassigehen von den anderen Hunden ausgelacht.” Das laute Gelächter von 5000 Zuschauern erinnerte wirklich an eine Comedy-Show, aber trotzdem kehrte Martin Rütter immer wieder zu seriösen Informationen zurück. Meistens mischte er sie mit Bemerkungen und witzigen Beispielen, so dass sie leicht zu konsumieren waren und sofort verstanden wurden. Es ging ja nicht darum, dass die Zuschauer nachher als seriöse Verhaltensexperten mit 100 neuen Fachwörtern nach Hause gingen, sondern mit einem geschärftem Bewusstsein für die Beziehung zu ihrem Hund und den ersten Erkenntnissen, wo die Ursache für Probleme und damit auch der Lösungansatz liegen könnte.

Das größte Problem bei der Erziehung war nach Aussage des Hundetrainers die Emotionalität. Hundeleute liebten ihre Hunde und fühlten sich ihnen eng verbunden. Martin Rütter behauptete, dass die Frauen im Saal, die ein Fotohandy besaßen, mindestens zehn Fotos von ihrem Hund auf dem Handy hätten. Zustimmendes Gelächter war zu hören. Er ergänzte: “Aber nur maximal ein Foto vom Mann.” Das Gelächter wurde lauter. Es steigerte sich nochmal glucksend, als er hinterher warf: “Und auf dem Foto vom Mann ist der Hund mit drauf.” Treffer.

Die Liebe zum Hund führte aber oft auch dazu, dass Probleme gerne mal schön geredet wurden. Manchmal bis sie nicht mehr zu übersehen waren. Und Probleme konnten ja schon sein, dass der Hund ständig an der Leine zog oder beim Klingeln an der Haustür lautstarkes Theater machte. Martin Rütter machte eindrücklich klar, dass es nie zu spät war, um durch eine Veränderung der Erziehung Änderungen im Verhalten zu erreichen. Nicht immer alles perfekt hinzubekommen, ein Hund sollte auch kein Roboter sein, aber Verbesserungen waren immer möglich. Aber natürlich bedeutete das zuerst einmal Arbeit für den Hundebesitzer. Vor allem Konsequenz, und daran scheiterte es nach einem euphorischen Anfang oft.




Am Ende des Programmes wurde es berührend. “Der Hund stand nicht vor unserer Tür und hat sich uns ausgesucht. Wir haben ihn geholt. Er liebt uns und wir haben die Verpflichtung, dass er glücklich ist. Es kann nicht sein, dass ein Hund nie frei laufen kann, weil die Menschen zu faul sind, ihn zu erziehen.” Respekt vor den Hunden und Liebe für sie war zu spüren, und durch den Saal ging großer Beifall. Martin Rütter hatte ganz sicher keine übertriebene Hundeliebe, sondern stand sehr realistisch und manchmal fast distanziert den Beziehungen gegenüber, aber ihm war wichtig, dass es eine liebevolle und gesunde Beziehung war. Dem Menschen und dem Hund musste es dabei gut gehen. Das war am besten zu erreichen, wenn es klare Regeln gab, wenn der Mensch den Hund überzeugte, dass er alles im Griff hatte und der Hund sich damit entspannt und in seinen Grenzen sicher verhalten konnte. Erziehung war wichtig. Je zuverlässiger der Hund hörte, desto mehr Freiheiten konnte er haben, desto entspannter, stressfreier und schöner verlief das gemeinsam Leben.

Am Ende des Abends, quasi als Zugabe, gab es noch Erklärungen über Hunderassen und die Menschen, die sich spezielle Rassen aussuchten, und das war wieder so unterhaltsam und witzig, dass viele der Besucher, die schon aufgestanden waren, um als Erste vom Parkplatz wegfahren zu können, doch noch in den Gängen stehen blieben, und lachend zuhörten.

Martin Rütter wurde mit viel Beifall verabschiedet. Die Show funktionierte - auch in einer 5000er-Halle. Es war ein sehr schöner Abend, durch die Videoleinwände war er gar nicht so weit weg wie befürchtet, und seine Stimme war auch auf den hintersten Plätzen ausgezeichnet und sehr deutlich zu verstehen. Und es war nicht reine Unterhaltung, sondern Lernen und Erkennen, verbunden mit großen Spaß. Damit wurde ganz sicher bei vielen Hundebesitzern ein bewussteres Betrachten der Situation ausgelöst und die Erkenntnis, dass sich viel machen liess. Und dass die große Liebe zu ihrem Hund, die Nicht-Hundemenschen oft nicht nachvollziehen konnten, völlig normal und ganz richtig war.



                                                                                                              
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