Volker Lechtenbrink übersetzte und bearbeitete das Originalstück von Shakespeare, und die Schauspieler der
‘Szene93’ führten es im Saal des ‘Blessemer Eck’ auf. Zunächst fand ich es ziemlich verwirrend. Ich hatte nicht mal richtig begriffen, wer welche Rolle, bzw. welchen Beruf hinter den Kulissen haben sollte,
da zogen sich schon alle um und traten als andere Personen auf. Vermutlich sind mir dadurch einige Anspielungen im späteren Verlauf des Stückes entgangen, aber es war einfach zu schnell für mich. Dazu kam,
dass fast alle Schauspieler plötzlich akzentfrei sprachen, auch diejenigen, die vorher extrem starke Einschläge hatten. Außerdem waren mir die Namen aus dem Shakespeare-Stück nicht geläufig, so dass ich
etwas desorientiert auf die vielen männlichen Namen reagierte, die verwirrenderweise fast alle auf -io endeten. Petrucchio, Lucentio, Vincentio, Gremio, Grumio... puh. Wer war nun wer? Und wie hingen die
alle zusammen?Geschickt dachte ich: “Ach, was soll’s, du wirst schon durchblicken.” und ließ mich auf die Situationskomik und den Anblick der tollen Kostüme ein (ganz großes Lob an die
Kostümbildnerinnen!). Ein Trick, der schließlich funktionierte, zumal besonders die drei Hauptdarsteller überzeugend gut spielten und mich ein bißchen davon ablenkten, dass ich zunächst nicht genau wußte,
was warum geschah. Ingo Brückner stellte einen ehemaligen Balletttänzer dar, der inzwischen Inspizient war, als Bühnenschauspieler aber immer noch grazil tänzelnd durch die Szenen sprang und mit jeder
Bewegung seine Homosexualität zeigte. Da stimmte die kleinste Geste, von der hochgezogenen Augenbraue bis zur Ballett-Grundstellung mit abgewinkelten Füßen. Sehr klasse. Witzigerweise spielte er im
Shakespeare-Stück die Rolle des Vaters zweier Töchter. Stefan Nichtweiß spielte den Regisseur der Truppe und stellte einen kraftvollen und überzeugenden Petrucchio dar. Der wollte, hauptsächlich der
üppigen Mitgift zuliebe, die zänkische Katharina heiraten, die von Katrin Döring gespielt wurde, die zuvor als schüchterne Souffleuse aufgetreten war, nun aber überzeugend und vor allem laut herumzickte.
Sobald Katharina vermählt war, durfte auch ihre nette Schwester Bianca heiraten, für die es mehrere Kandidaten gab, die aber, um die Verwirrung komplett zu machen, teilweise andere Identitäten annahmen.
Während es im Stück durch Doppelbesetzungen und Verkleidungen immer verwirrender wurde, gewann die Aufführung der ‘Szene93’ an Klarheit, denn die Szenen “hinter dem Vorhang” wurden weniger, und als Zuschauer
vertiefte ich mich immer mehr in das Originalstück. Dass die “Ersatz”-Schauspieler hin und wieder aus ihrer Rolle fielen und modernes Liedgut schmetterten, war witzig und erinnerte an die besondere
Situation. Es war eben kein reines Schakespeare-Stück. Bis zur Pause war ich noch etwas überfordert von den vielfältigen Rollen, fand mich jedoch im zweiten Teil plötzlich viel besser zurecht. Ich wußte,
um was es ging, konnte endlich die Verbindungen der Rollen untereinander nachvollziehen und beobachtete mit Spannung wie Petrucchio an die Zähmung seines Käthchens ging. Es machte viel Spaß dem lockeren
Spiel der Darsteller zuzusehen, auch wenn man nicht genauer darüber nachdenken sollte, wie das widerspenstige Käthchen von ihrem Mann behandelt wurde. Nicht gerade vorbildhaft gleichberechtigt, aber es war
ja ein Stück aus dem 16. Jahrhundert, wie die Darsteller extra betonten. Am Ende natürlich ein happy end auf der Shakespearebühne, wobei Käthchen lange noch nicht so zahm wie gewünscht war. Auch die
“Ersatz”-Schauspieler feierten die gelungen Aufführung und sangen als musikalischen Abschluß: “Schlag nach bei Shakespeare.” Fazit: Eine zunächst etwas verwirrende, dann aber auch kurzweilige und
abwechslungsreiche Aufführung, die durch das Können der Darsteller überzeugte. Dazu wunderbare Kostüme, ein sparsames, aber punktgenaues Bühnenbild und viele kleine, witzige Stellen, wie zum Beispiel die
Ansagerin der nächsten Szene, die bei ihrem häufig vorkommenden Satz: “Auf einer Straße in Padua” ein solches Selbstbewußtsein verkörperte, als wäre sie die Hauptdarstellerin des Stückes. Ob die an sich
witzige Idee mit dem spontanen Einspringen der Mitarbeiter, mit der das Stück beginnt, nicht etwas zu viel hinein bringt, und eine reine Shakespeare-Aufführung doch überzeugender gewesen wäre, überlege ich
zur Zeit noch. Gerade der zweite Teil nach der Pause, in dem es fast nur noch um die eigentliche Shakespeare-Komödie ging, war sehr gut und hatte vom Grundkonzept her genug Verwechslungsspiele und
Verkleidungen, die schnell und mit Schwung gespielt, gute Laune machten.
Außerdem hätte ich es logischer gefunden, wenn die Schauspieler nicht mit der Eroberung der Bühne ihren vorherigen Akzent
abgelegt hätten. Dass der Hausmeister plötzlich nicht mehr hessisch sprach, sondern akzentfrei reden konnte, und die vorher lispelnde Souffleuse als Käthchen nicht mehr mit der Zunge anstieß, ließ mich lange
überlegen, ob ich die Personen überhaupt richtig zugeordnet hatte. Da wäre es schöner und auch glaubhafter gewesen, wenn die Mitspieler bei ihrem plötzlichen Bühnenauftritt mit allen wiedererkennbaren Macken
und Eigenheiten gezeigt worden wären. Ein lispelndes Käthchen wäre neben dem tänzelnden Vater der Punkt auf dem i gewesen. |