Als die kleine Giraffe ihre Punkte verlor
Ich mache ein Kinderbuch

Woche 28
- 7.Januar 2007
BUMM! Das Jahr geht mit einem Paukenschlag los. Ich sitze an den Illustrationen für das Kinderbuch und erfahre plötzlich, dass die nächste Frankfurter Buchmesse vom 10. bis 14. Oktober ist. Da kann ich gar nicht! Und jetzt? Ist es sinnvoll einen Bestseller zu schreiben und dann keine Zeit für die Buchmesse zu haben?

Andererseits: Soll ich meine Bücher auf die Buchmesse mitnehmen, durch die Gänge laufen und allen Verlegern erzählen, dass ich keinen von ihnen brauche? Und laut verkünden, dass ich keine ISBN-Nummer haben will, weil ich auch keinen Buchhändler benötige? Dass ich meine Bücher von Hand durchnummeriere? Dass ich kein Probeexemplar umsonst abgeben möchte, weil die in der Herstellung viel zu teuer waren, um sie einfach zu verschenken? Damit wäre ich wahrscheinlich die Lachnummer der Buchmesse. Cool wäre so ein Verhalten nur, wenn ich bis dahin wirklich meine erste Millionenauflage verkauft hätte. Das wird allerdings relativ schwer bei einer dreistelligen Auflagenhöhe.

Da ich in der Woche noch “fremdillustriere” (diesmal geht es unter anderem um ein Doppelkopf spielendes Eichhörnchen, das sich natürlich wieder nicht in meine Giraffengeschichte einbauen lässt), komme ich mit der Giraffe nicht wirklich weit. Zwischendurch mache ich es spannend und arbeite auch noch an der Kreissäge, die akut meine Augen und meine Finger bedroht. Genau die Körperteile, die ich für die Arbeit an meinem Kinderbuch gut gebrauchen kann. Während die Holzsplitter um mich herum sausen und ich die Augen bis auf einen schmalen Spalt zusammenkneife, fällt mir ein, dass ich doch besser mal eine Schutzbrille geholt hätte. Die Bretter halte ich bei knappen Schnitten lieber mit der linken Hand nah an das große Sägeblatt, weil ich denke, dass ich im Unglücksfall trotz fehlender Stücke am linken Handballen nach dem Krankenhausaufenthalt sofort mit rechts weiterzeichnen könnte. Vielleicht sogar schon im Krankenbett. Soll keiner sagen, ich würde nicht gut überlegen.

Auch in der Giraffengeschichte geht es bedrohlich und äußerst spannend weiter. Hoffentlich stehen die Kinder, denen die Geschichte mal vorgelesen wird, dann nicht heulend im Bett und können nicht einschlafen. Vielleicht sollte ich zur Entschärfung der Situation dann doch das Bild mit dem Doppelkopf spielenden Eichhörnchen einfügen. Macht zwar keinen Sinn, wirkt aber wenigstens nicht bedrohlich, sondern eher blöd.


Soll ich den Affen vom Krokodil fressen lassen, damit die Kinder nicht nur heulend im Bett stehen, sondern auch völlig fertig sind?
Sind die Veranstalter der Frankfurter Buchmesse durch meine Absage jetzt völlig aus dem Konzept gebracht?
Und was passiert sonst noch?



Woche 29 - 14.Januar 2007
Ich bekomme Post von der kleinen Giraffe! Naja, nicht ganz, aber ich bekomme einen kleinen Karton, in dem Postkarten sind, auf denen die Giraffe ist. Die Postkarten habe ich selber bestellt, darum ist das Ganze nicht so überraschend für mich, aber ich freue mich trotzdem. Eine der Karten hefte ich sofort an meine Pinwand, die anderen werde ich in den nächsten Monaten zum Teil verschicken. Es gibt nur 150 Stück und die werden in Sammlerkreisen natürlich mal heiß begehrt sein. Vielleicht sollte ich in die ersten 100 Bücher als kleines Extra jeweils eine Postkarte stecken. Wäre doch nett. Und die anderen 50 verschicke ich wild, bis meine Freunde und Bekannten nur noch stöhnen, wenn schon wieder eine im Briefkasten liegt, und anfragen, ob ich kurze Mitteilungen nicht telefonisch regeln könnte.

Die kleine Giraffe verliert auf den Bildern, an denen ich zeichne, gerade ihre Punkte und es geht ihr nicht sehr gut. Auch für mich wird es schwierig, denn ich muss entscheiden, welche Illustrationen ich in diesem Bericht überhaupt noch zeigen will. Kleine Einblicke in die aktuelle Arbeit finde ich klasse, aber ich will natürlich nicht die ganze Geschichte verraten. Fragen sollen noch bleiben. “Wer heiratet wen?” “Wer wird gefressen?” “Kann eine Giraffe wirklich schneller als ein Krokodil schwimmen?” Es muss ja spannend bleiben, und möglichst viele Berichteleser sollen nachher den dringenden Wunsch verspüren, das komplette Buch zu bekommen, um endlich zu erfahren, was passiert ist und wie es endet. Allerdings werde ich nicht verhindern können, dass die Richtung der Geschichte schon an den kleinen Bildausschnitten zu erkennen ist. Andererseits ist es auch schön, wenn man später als Leser Teile der Bilder wiedererkennt und irgendwie bei der Entstehung dabei war. Ich muss da einfach versuchen die richtige Mischung zu finden, ohne alles zu verraten.

Wenn ich auf den Kalender blicke, wird mir ein wenig mulmig. Es ist Mitte Januar und noch ziemlich viel zu tun bis zur Fertigstellung. Ob das mit Mai wirklich klappt? Abgesehen von den vielen Illustrationen, die ich noch machen muss, habe ich den Text für die Hör-CD-Fassung noch nicht bearbeitet und muss noch fünf Stimmen besetzen. Drei davon sind weiblich, eine ist ein Kind. Da sollte ich jetzt wirklich mal überlegen, wer das vielleicht machen könnte. Irgendwie muss ich dann ja noch organisieren, dass ich alles im März und April aufnehmen kann, damit die CD rechtzeitig fertig wird. Habe ich im Bezug auf die Fertigstellung eigentlich jemals von Mai 2007 geschrieben oder kann ich den Termin unauffällig auf Mai 2008 verlegen?

Soll ich einfach ganz andere Illus in den Bericht setzen und damit für den Ablauf der Geschichte falsche Fährten legen?
Warum ist es bis Mai nicht mehr lang?
Und was passiert sonst noch?



Woche 30 - 21.Januar 2007
Um scharfsinnige Kombinierer beim Fortgang der Geschichte in die Irre zu führen, zeichne ich ein Bild, auf dem die gepunktete Giraffe durch den Urwald springt. Eben noch ohne Punkte im Wasser, jetzt schon wieder vorbildlich gefleckt unterwegs. Ist die Geschichte damit am glücklichen Ende angekommen? Ich könnte ja durchaus an dieser Stelle Schluß machen und dann die restlichen 35 Seiten im Buch einfach frei lassen. Vielleicht oben drüber schreiben: Für eigene Notizen! und fertig. Mit einer kürzeren Geschichte würde auch die Hör-CD entsprechend kürzer werden und der Veröffentlichungstermin könnte auf März vorverlegt werden. Eigentlich sind das nur Vorteile.

Blöd ist, dass ganz scharfsinnige Kombinierer erkennen können, dass es das Bild so ähnlich schon gab. (Wer nicht so scharfsinnig ist, kann mal bei Woche 12 nachsehen.) Ich zeichne das Bild nur neu, weil es mir in der ersten Version nicht ganz gefallen hat. Das ist eben das Problem bei mir: Manchmal entscheide ich spontan, dass das, was bis dahin gut war, es plötzlich nicht mehr ist. Ein Verhalten, das beim Illustrieren nicht nur unberechenbar und extrem zeitverzögernd ist, sondern welches man sich auch nur als erfolgreicher, exzentrischer Künstler leisten kann. Erfolgreich und exzentrisch ist man, wenn man rumzicken, sich nervig benehmen und ständig irgendwelche Sachen verwerfen und neu beginnen kann und die Leute um einen herum trotzdem total freundlich bleiben, weil sie Angst haben, dass man alles komplett hinschmeißen könnte. Auch ich kann meine Exzentrik voll ausleben und rumzicken wie ich will, nur bei mir interessiert es keinen. Meinen Kaffee muss ich mir weiterhin selber bringen. Und ob ich dabei lächel oder nicht, ist mir egal.

Damit ich den Überblick behalte, bei den inzwischen schon zahlreich angefangenen, neu gezeichneten, fast fertigen und aussortierten Bildern, lege ich einen Ordner an, in dem in Klarsichthüllen nur die endgültigen Illustrationen einen Platz finden. Wobei ‘endgültig’ bei mir nichts heißt, denn wenn ich ein Bild neu mache, fliegt eben das alte raus.

Immerhin kann ich jetzt schnell sehen, was fertig ist und wo ich noch kreativ werden muss. Leider muss ich noch ziemlich viel kreativ werden, wenn das Kinderbuch auf allen 48 Seiten voll werden soll. Etwas besorgt denke ich daran, dass es demnächst Urwaldbilder mit sehr vielen Pflanzen gibt. Da sitz ich dann ja tagelang an jedem Bild, nur weil die Vegetation dort so extrem ausgeprägt ist.


Kann meine Exzentrik noch zum Problem werden?
Gelten rausgeflogene Illustrationen als “Outtakes” und kann ich damit mal ein “Buch zum Buch” machen?
Und was passiert sonst noch?


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